IRON MAN OF MUSIC

2022-11-11T05:27:18+00:00November 9, 2022|2 Kommentare

Obwohl er normalerweise in Bayreuth, Salzburg, Aspen und Tokio unterwegs ist, lässt sich Willi immer wieder auf Reisen mit unserem Orchester ein. Dabei hat er bereits seine maßgefertigten Schuhe und ein Brioni Jacket im Amazonas ruiniert und wurde in Jamaika von der Grenzpolizei verhaftet, als er beim Einreisechaos die Geduld verloren hat. So ein Chaos ist er eben nicht gewohnt. Im Gegenteil – normalerweise wird ihm jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Deshalb reizt ihn von Zeit zu Zeit das Abenteuer, und so ist er auch bei dieser Tournee durch Südamerika wieder als Konzertmeister dabei.

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Obwohl er normalerweise in Bayreuth, Salzburg, Aspen und Tokio unterwegs ist, lässt sich Willi immer wieder auf Reisen mit unserem Orchester ein. Dabei hat er bereits seine maßgefertigten Schuhe und ein Brioni-Jacket im Amazonas ruiniert und wurde in Jamaika von der Grenzpolizei verhaftet, als er beim Einreisechaos die Geduld verloren hat. So ein Chaos ist er eben nicht gewohnt. Im Gegenteil – normalerweise wird ihm jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Deshalb reizt ihn von Zeit zu Zeit das Abenteuer, und so ist er auch bei dieser Tournee durch Südamerika wieder als Konzertmeister dabei.

In Guadalajara treffen wir, wie manchmal für das europäische Funding notwendig, auf einen ‚local soloist‘. Diesmal handelt es sich um Stefano Romano, eine Art Blockflöten-Rockstar in Südamerika. Schon sein Outfit ist ein Alleinstellungsmerkmal unter Künstlern seines Fachs: Er trägt Cowboystiefel und eine hautenge schwarze Lederhose mit offenem Hemd, das den Blick auf seine durchtrainierte, geölte Brust freigibt. Seinen Hals ziert eine lederne Nietenkette.

Der Auftritt des muskelgestählten Sexsymbols mit seiner schmalen, rehbraunen Sopranblockflöte löst beim Publikum grenzenlosen Jubel aus. Stefano hat für seine Performance ein Trittbrett mitgebracht, in etwa vergleichbar mit einem Aerobic-Assecoire der achtziger Jahre. Bedeutungsvoll platziert er es vor sich auf der Bühne und lässt Vivaldi mit 4 polternden Tritten starten. Die Kadenz hat er selbst komponiert. Es sei ganz einfach, am Ende einzusteigen, erklärte er uns in der Probe, er würde zu gegebener Zeit mit dem Kopf nicken.

Im Konzert steigert sich die Kadenz in einer Mischung aus frenetischem Gezwitscher aus dem Flötenkopf mit Stepdance auf dem Trittbrett. Die Fans pfeifen und johlen, Stefanos Nietenkette schlägt wild gegen seine Flöte. Rosen und Textilien fliegen auf die Bühne. Stefano schüttelt ekstatisch den Kopf – oder war es ein Nicken? Willi fixiert ihn wie ein Kaninchen die Schlange und setzt ein dutzendmal die Geige an und wieder ab, auf der Suche nach dem Einsatz für das Orchester. Endlich springt der Solist mit beiden Beinen auf das Trittbrett und wir setzen überrumpelt ein. Ein Rest Vivaldi bleibt zum Ausklang.

Es muss viel Tequila fliessen, um Willi davon zu überzeugen, ein weiteres Konzert dieser Art über sich ergehen zu lassen. Nur mit Mühe bekommen wir ihn am nächsten Morgen in den Flieger nach Mazatlan. Immerhin wartet dort das Meer auf uns, samt tropischen Klima und einer verlockenden Beachparty am hoteleigenen Strand. Während das zweite Konzert mit Stefano eher in diffuser Erinnerung bleibt, gräbt sich die Party und vor allem der darauffolgende Reisetag um so nachhaltiger in unser Gedächtnis.

Als wir in Mexico City landen, stellt sich heraus, dass die Zeitumstellung falsch herum berechnet wurde – statt eine Stunde zu gewinnen, haben wir beim Flug eine verloren. Außerdem hat sich unser Bus im Ankunftsterminal vertan. Er wartet in A, wir sind aber in F gelandet. Mit Instrumenten und Gepäck durch einen der größten Flughäfen von einem Ende zum anderen zu eilen ist eine sportliche und logistische Herausforderung.

Während wir im Laufschritt den Schildern folgen, verlieren wir Adriana aus den Bratschen im Gewühl. Sie macht gerade eine spezielle Diät und isst nur Äpfel. Auf der Suche nach neuen Früchten hat sie wohl den Anschluss an die Gruppe verloren. Als ihr Verschwinden bemerkt wird, haben wir den Bus bereits erreicht. Das Management flucht und fängt hektisch an zu telefonieren. Wir werden angewiesen, uns im Bus schonmal für das Konzert umzuziehen. Willi reagiert entrüstet, doch um ihn herum öffnen sich bereits die ersten Koffer. Es fliegen Haarbürsten, Kosmetik, Schuhe und Kleidungsstücke herum, die sonst eher selten öffentlich zu sehen sind.

Endlich taucht Adriana, in Tränen aufgelöst, wieder auf. Der Bus setzt sich in Bewegung und fährt geradewegs mitten in den Stau. Aussichtslos verkeilt und bewegungslos verbringen wir die nächsten zwei Stunden und saugen das Lebensgefühl der Millionenmetropole höchst authentisch in uns auf: weit und breit nichts als hupende, bunte VW-Käfer.

Als der Bus endlich in die Einfahrt zum Club Allemand einbiegt, ist es eine Stunde nach geplantem Konzertbeginn. Wir werden begrüßt wie eine verloren geglaubte Fussballmannschaft, unter frenetischen Applaus klettern wir aus dem Bus. Da es zu lange dauert, unsere Sachen noch in die Garderoben zu bringen, wählen wir den direkten Weg zur Bühne. Er führt über einen steil aufsteigenden, mit Flutlicht beleuchteten Steingarten. Willi diskutiert dabei atemlos mit dem Manager, ob die Instrumentenversicherung wohl verpflichtet ist, bei einem Unfall in vierzigprozentigem Felsengefälle den Totalschaden seiner Stradivari zu übernehmen.

Ein paar Minuten später spielt Willi im Saal Mendelssohns Violinkonzert d-moll, als wäre nichts gewesen. Man hört ihn allerdings im letzten Satz ein wenig schnaufen. In der Pause liegt er in seiner Garderobe auf dem Boden, die Geige neben sich. Wir versammeln uns kniend um ihn herum.
„Sometimes it’s a little bit much…“ flüstert er.
Bedenkt man, was er schon alles auf unseren Reisen überstehen musste, ist es eigentlich ein Wunder, dass er immer wieder mitkommt. Da war zum Beispiel dieses Konzert in La Paz auf 3800m, wo es die Oboen trotz tagelanger Schnitzarbeit nicht schafften, passende Rohre herstellen und ein bisschen wie sterbende Enten klangen. Der Rest des Orchesters verirrte sich, von Kreislauftropfen benebelt, im Dickicht einer Bach-Fuge.

Ich erinnere mich auch noch gut an den Streik auf der Autobahn von Buenos Aires nach Rosario, als Willi auf dem Sitz neben dem Busfahrer sein Haydn-Konzert üben musste, weil es für eine Probe keine Zeit mehr gab. Oder den Überfall auf den Bus in Bogota, als unser gesamtes Gepäck verschwand und erst nach zwielichtigen, kostspieligen Verhandlungen wieder aufgetaucht ist.
Wir beschließen, ihm als Anerkennung für all seine Strapazen heute den Iron Man of Music zu verleihen – eine Auszeichnung, die sich bestimmt von seinen anderen Preisen unterscheidet und die man sich nur in diesem Orchester verdienen kann.

In Guadalajara treffen wir, wie manchmal für das europäische Funding notwendig, auf einen ‚local soloist‘. Diesmal handelt es sich um Stefano Romano, eine Art Blockflöten-Rockstar in Südamerika. Schon sein Outfit ist ein Alleinstellungsmerkmal unter Künstlern seines Fachs: Er trägt Cowboystiefel und eine hautenge schwarze Lederhose mit offenem Hemd, das den Blick auf seine durchtrainierte, geölte Brust freigibt. Seinen Hals ziert eine lederne Nietenkette.

Der Auftritt des muskelgestählten Sexsymbols mit seiner schmalen, rehbraunen Sopranblockflöte löst beim Publikum grenzenlosen Jubel aus. Stefano hat für seine Performance ein Trittbrett mitgebracht, in etwa vergleichbar mit einem Aerobic-Assecoire der achtziger Jahre. Bedeutungsvoll platziert er es vor sich auf der Bühne und lässt Vivaldi mit 4 polternden Tritten starten. Die Kadenz hat er selbst komponiert. Es sei ganz einfach, am Ende einzusteigen, erklärte er uns in der Probe, er würde zu gegebener Zeit mit dem Kopf nicken.

Im Konzert steigert sich die Kadenz in einer Mischung aus frenetischem Gezwitscher aus dem Flötenkopf mit Stepdance auf dem Trittbrett. Die Fans pfeifen und johlen, Stefanos Nietenkette schlägt wild gegen seine Flöte. Rosen und Textilien fliegen auf die Bühne. Stefano schüttelt ekstatisch den Kopf – oder war es ein Nicken? Willi fixiert ihn wie ein Kaninchen die Schlange und setzt ein dutzendmal die Geige an und wieder ab, auf der Suche nach dem Einsatz für das Orchester. Endlich springt der Solist mit beiden Beinen auf das Trittbrett und wir setzen überrumpelt ein. Ein Rest Vivaldi bleibt zum Ausklang.

Es muss viel Tequila fliessen, um Willi davon zu überzeugen, ein weiteres Konzert dieser Art über sich ergehen zu lassen. Nur mit Mühe bekommen wir ihn am nächsten Morgen in den Flieger nach Mazatlan. Immerhin wartet dort das Meer auf uns, samt tropischen Klima und einer verlockenden Beachparty am hoteleigenen Strand. Während das zweite Konzert mit Stefano eher in diffuser Erinnerung bleibt, gräbt sich die Party und vor allem der darauffolgende Reisetag um so nachhaltiger in unser Gedächtnis.

Als wir in Mexico City landen, stellt sich heraus, dass die Zeitumstellung falsch herum berechnet wurde – statt eine Stunde zu gewinnen, haben wir beim Flug eine verloren. Außerdem hat sich unser Bus im Ankunftsterminal vertan. Er wartet in A, wir sind aber in F gelandet. Mit Instrumenten und Gepäck durch einen der größten Flughäfen von einem Ende zum anderen zu eilen ist eine sportliche und logistische Herausforderung.

Während wir im Laufschritt den Schildern folgen, verlieren wir Adriana aus den Bratschen im Gewühl. Sie macht gerade eine spezielle Diät und isst nur Äpfel. Auf der Suche nach neuen Früchten hat sie wohl den Anschluss an die Gruppe verloren. Als ihr Verschwinden bemerkt wird, haben wir den Bus bereits erreicht. Das Management flucht und fängt hektisch an zu telefonieren. Wir werden angewiesen, uns im Bus schonmal für das Konzert umzuziehen. Willi reagiert entrüstet, doch um ihn herum öffnen sich bereits die ersten Koffer. Es fliegen Haarbürsten, Kosmetik, Schuhe und Kleidungsstücke herum, die sonst eher selten öffentlich zu sehen sind.

Endlich taucht Adriana, in Tränen aufgelöst, wieder auf. Der Bus setzt sich in Bewegung und fährt geradewegs mitten in den Stau. Aussichtslos verkeilt und bewegungslos verbringen wir die nächsten zwei Stunden und saugen das Lebensgefühl der Millionenmetropole höchst authentisch in uns auf: weit und breit nichts als hupende, bunte VW-Käfer.

Als der Bus endlich in die Einfahrt zum Club Allemand einbiegt, ist es eine Stunde nach geplantem Konzertbeginn. Wir werden begrüßt wie eine verloren geglaubte Fussballmannschaft, unter frenetischem Applaus klettern wir aus dem Bus. Da es zu lange dauert, unsere Sachen noch in die Garderoben zu bringen, wählen wir den direkten Weg zur Bühne. Er führt über einen steil aufsteigenden, mit Flutlicht beleuchteten Steingarten. Willi diskutiert dabei atemlos mit dem Manager, ob die Instrumentenversicherung wohl verpflichtet ist, bei einem Unfall in vierzigprozentigem Felsengefälle den Totalschaden seiner Stradivari zu übernehmen.

Ein paar Minuten später spielt Willi im Saal Mendelssohns Violinkonzert d-moll, als wäre nichts gewesen. Man hört ihn allerdings im letzten Satz ein wenig schnaufen. In der Pause liegt er in seiner Garderobe auf dem Boden, die Geige neben sich. Wir versammeln uns kniend um ihn herum.
„Sometimes it’s a little bit much…“ flüstert er.
Bedenkt man, was er schon alles auf unseren Reisen überstehen musste, ist es eigentlich ein Wunder, dass er immer wieder mitkommt. Da war zum Beispiel dieses Konzert in La Paz auf 3800m, wo es die Oboen trotz tagelanger Schnitzarbeit nicht schafften, passende Rohre herstellen und ein bisschen wie sterbende Enten klangen. Der Rest des Orchesters verirrte sich, von Kreislauftropfen benebelt, im Dickicht einer Bach-Fuge.

Ich erinnere mich auch noch gut an den Streik auf der Autobahn von Buenos Aires nach Rosario, als Willi auf dem Sitz neben dem Busfahrer sein Haydn-Konzert üben musste, weil es für eine Probe keine Zeit mehr gab. Oder den Überfall auf den Bus in Bogota, als unser gesamtes Gepäck verschwand und erst nach zwielichtigen, kostspieligen Verhandlungen wieder aufgetaucht ist.
Wir beschließen, ihm als Anerkennung für all seine Strapazen heute den Iron Man of Music zu verleihen – eine Auszeichnung, die sich bestimmt von seinen anderen Preisen unterscheidet und die man sich nur in diesem Orchester verdienen kann.

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2 Kommentare

  1. Matthias November 11, 2022 um 7:25 am Uhr - Antworten

    Made my day!!! Und wer Dich kennt, weiß, dass das alles tatsächlich passiert ist. Großartig geschrieben! Über die ‚sterbenden Enten‘ lache ich immer noch 🙂

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