ART IN HEAVEN

2022-06-16T06:39:19+00:00Juni 10, 2022|4 Kommentare

Der Kunsthimmel hat geschrieben, leider geht die Förderung nicht an uns. Eigentlich hatten wir Überschaubares vor – ein Kooperationsprojekt unseres Streichensembles mit zwei Videokünstlern und einer Tänzerin. In seinem Schreiben bedauert der Kunsthimmel die Absage, lädt uns aber herzlich zur Eröffnung der diesjährigen Himmelsfestspiele ein. Obwohl wir nicht allzu große Lust haben, uns die Projekte anzuschauen, die mehr innovative Strahlkraft und Bedeutung für das All haben, spekulieren wir auf die rauschende Party danach und gehen hin.

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Der Kunsthimmel hat geschrieben, leider geht die Förderung nicht an uns. Eigentlich hatten wir Überschaubares vor – ein Kooperationsprojekt unseres Streichensembles mit zwei Videokünstlern und einer Tänzerin. In seinem Schreiben bedauert der Kunsthimmel die Absage, lädt uns aber herzlich zur Eröffnung der diesjährigen Himmelsfestspiele ein. Obwohl wir nicht allzu große Lust haben, uns die Projekte anzuschauen, die mehr innovative Strahlkraft und Bedeutung für das All haben, spekulieren wir auf die rauschende Party danach und gehen hin.

Die Eröffnungsveranstaltung findet in diesem Jahr auf dem Kaufstern statt, im Dachgeschoß einer neuen Shoppingmall gibt es riesige, freie Räume. Das Publikum wird dort abgeholt, wo es sowieso schon ist – beim Einkaufen. Offenes Mauerwerk, freiliegende Silberrohre und raumhohe Fenster zaubern industriellen Charme, empfangen wird man mit veganen Häppchen und Champagner. Kaum hat man das Glas in der Hand, befindet man sich auch schon im ersten Kunstobjekt.

Ausgestellt wird der „Christo der Generation Facebook“, seine Kunst gestaltet Räume für einen unwiederbringlichen Moment. In diesem Fall hat er mit einem roten Seil gearbeitet. Vorbei an den Silberrohren verläuft es straff gespannt, von der Decke schräg zum Boden, quer von Wand zu Wand, um eine Säule gewickelt, am Boden durch einen Karabiner befestigt, wieder zur nächsten Wand. Es sieht aus wie das Strahlengeflecht eines infrarotgeschützten Safes in einem James-Bond-Film. Dargestellt wird die virtuelle Vernetzung der Welt durch Social Media, erklärt eine Tafel. Im Gegensatz dazu stehen die echten Begegnungen, die das Publikum beim Weg durch das Seillabyrinth macht. Eingekeilt zwischen den einzelnen Seilabschnitten sieht man die Gäste miteinander sprechen, in der Hand einen Möhrenschnitz und ihr Champagnerglas.

Auf der Suche nach einem Ausgang bemerkt man erst allmählich, wie ein unaufdringliches, aber permanentes Nebengeräusch im Raum erklingt: Zu hören ist der Ton f in verschiedenen Frequenzen und Wiederholungen. Schafft man den Weg in die Mitte des Raumes, informiert eine Fotoserie über die Hintergründe: es handelt sich um eine musikalische Installation. Hinter einer Säule spielt eine in sich versunkene Pianistin auf einem Flügel, dieser wurde für diesen Anlass präpariert — genauer gesagt, umgestimmt. Auf einen Ton. Egal, welche Taste angeschlagen wird, es erklingt genau derselbe Ton. Das Umarbeiten des Instruments hat ein ganzes Jahr gedauert, Experten beschäftigt, Unsummen verschlungen und ist irreversibel. Gerade spielt die Pianistin mit Hingabe Chopin auf f. Die aufgestellten Noten sind deutlich zu sehen, sie wiegt sich im Ausdruck des rhythmischen Skeletts eines Nocturnes.

Neben dem Flügel steht der Urheber der Installation und beantwortet bereitwillig Fragen aus dem Publikum. Die meisten wollen selbst ausprobieren, das Instrument zu spielen. Angesichts des monotonen Ergebnis traut sich jeder eine Darbietung zu, die Schlange der Interessenten wird immer länger. Auf der Tafel über seinen Lebenslauf heißt es, der Künstler habe unlängst ein Aufenthaltsstipendium auf dem stillen Strandplaneten gewonnen. Dort plant er die Entwicklung weiterer Installationen, die den Zusammenhang zwischen notiertem Notentext und akustischer Rezeption aufheben.

Gegen Abend erwartet uns der Höhepunkt des Eröffnungstages: die Uraufführung des Werks „Circe“. Es handelt sich um ein Harfenkonzert mit großem Sinfonieorchester unter der Leitung eines Haupt- und vier Subdirigenten. Einige Freunde von uns spielen mit, sie haben das Stück eine ganze Woche lang täglich sechs Stunden geprobt. Die Koordination der verschiedenen Instrumentengruppen mit den jeweils richtigen Dirigenten sei nahezu unmöglich, berichteten sie.
Die Werkeinführung übernimmt der Komponist persönlich — schüchtern und schmalgliedrig steht er vor dem Orchester, die Partitur ist fast so groß wie er selbst. Er habe in Form einer Collage gearbeitet, erklärt er: verschiedene Musikstile seien übereinander geschichtet, um die dämonisierende Darstellung von Circe durch die einzelnen Jahrhunderte zu zeigen. Im Laufe des Stücks ginge sie ihrer Erlösung im Sinne einer neuen Wahrnehmung von weiblicher Stärke entgegen.

Was dann folgt, ist schwer zu beschreiben. Als das Orchester zu spielen beginnt, klingt es, als hätte jemand kurz vor Opernbeginn ein Mikrophon in den Orchestergraben gehalten – ohrenbetäubend spielen alle Musiker mit Inbrunst ihre Stimmen, dazu dirigieren fünf Dirigenten konzentriert nebeneinander her. Damit die Musiker sie nicht durcheinander bringen können, tragen sie Kopfhörer mit Klick. Immer wieder dringen Klangfetzen der Harfe durch den Lärm, wenn nicht gerade ein marzialischer Schlagzeugdonner alles übertönt. Dass ein Mann mit derart gehemmter Ausstrahlung eine solche Klanggewalt erfinden kann, ist verstörend – das Stück dauert fast fünfzig Minuten und gleicht einem Terroranschlag auf die Musikstile sämtlicher Jahrhunderte. Übrig bleibt am Ende der Klang der Harfenistin, die mit einer Zahnbürste über die Saiten ihrer Harfe schabt.

Danach gehen wir still zum Ausgang, schwer lastet auf uns das Erlebte in seiner innovativen Strahlkraft und Bedeutung für das All. Die Vorstellung einer rauschenden Party hat ihren Reiz verloren, wir sehnen uns eher nach einer menschenleeren, schallisolierten Insel.
Trotzdem werden wir nicht aufgeben und uns beim nächsten Mal wieder für eine Förderung bewerben. Erste Einfälle haben wir auch schon. Wie wäre es zum Beispiel mit live-Kompositionen zu Guerilla Gardening? Das wird dann aber teuer für den Kunsthimmel. Das Ensemble muss dafür mindestens einen Monat ungestört im Feengarten auf dem Schlossstern proben.

Die Eröffnungsveranstaltung findet in diesem Jahr auf dem Kaufstern statt, im Dachgeschoß einer neuen Shoppingmall gibt es riesige, freie Räume. Das Publikum wird dort abgeholt, wo es sowieso schon ist – beim Einkaufen. Offenes Mauerwerk, freiliegende Silberrohre und raumhohe Fenster zaubern industriellen Charme, empfangen wird man mit veganen Häppchen und Champagner. Kaum hat man das Glas in der Hand, befindet man sich auch schon im ersten Kunstobjekt.

Ausgestellt wird der „Christo der Generation Facebook“, seine Kunst gestaltet Räume für einen unwiederbringlichen Moment. In diesem Fall hat er mit einem roten Seil gearbeitet. Vorbei an den Silberrohren verläuft es straff gespannt, von der Decke schräg zum Boden, quer von Wand zu Wand, um eine Säule gewickelt, am Boden durch einen Karabiner befestigt, wieder zur nächsten Wand. Es sieht aus wie das Strahlengeflecht eines infrarotgeschützten Safes in einem James-Bond-Film. Dargestellt wird die virtuelle Vernetzung der Welt durch Social Media, erklärt eine Tafel. Im Gegensatz dazu stehen die echten Begegnungen, die das Publikum beim Weg durch das Seillabyrinth macht. Eingekeilt zwischen den einzelnen Seilabschnitten sieht man die Gäste miteinander sprechen, in der Hand einen Möhrenschnitz und ihr Champagnerglas.

Auf der Suche nach einem Ausgang bemerkt man erst allmählich, wie ein unaufdringliches, aber permanentes Nebengeräusch im Raum erklingt: Zu hören ist der Ton f in verschiedenen Frequenzen und Wiederholungen. Schafft man den Weg in die Mitte des Raumes, informiert eine Fotoserie über die Hintergründe: es handelt sich um eine musikalische Installation. Hinter einer Säule spielt eine in sich versunkene Pianistin auf einem Flügel, dieser wurde für diesen Anlass präpariert — genauer gesagt, umgestimmt. Auf einen Ton. Egal, welche Taste angeschlagen wird, es erklingt genau derselbe Ton. Das Umarbeiten des Instruments hat ein ganzes Jahr gedauert, Experten beschäftigt, Unsummen verschlungen und ist irreversibel. Gerade spielt die Pianistin mit Hingabe Chopin auf f. Die aufgestellten Noten sind deutlich zu sehen, sie wiegt sich im Ausdruck des rhythmischen Skeletts eines Nocturnes.

Neben dem Flügel steht der Urheber der Installation und beantwortet bereitwillig Fragen aus dem Publikum. Die meisten wollen selbst ausprobieren, das Instrument zu spielen. Angesichts des monotonen Ergebnis traut sich jeder eine Darbietung zu, die Schlange der Interessenten wird immer länger. Auf der Tafel über seinen Lebenslauf heißt es, der Künstler habe unlängst ein Aufenthaltsstipendium auf dem stillen Strandplaneten gewonnen. Dort plant er die Entwicklung weiterer Installationen, die den Zusammenhang zwischen notiertem Notentext und akustischer Rezeption aufheben.

Gegen Abend erwartet uns der Höhepunkt des Eröffnungstages: die Uraufführung des Werks „Circe“. Es handelt sich um ein Harfenkonzert mit großem Sinfonieorchester unter der Leitung eines Haupt- und vier Subdirigenten. Einige Freunde von uns spielen mit, sie haben das Stück eine ganze Woche lang täglich sechs Stunden geprobt. Die Koordination der verschiedenen Instrumentengruppen mit den jeweils richtigen Dirigenten wäre nahezu unmöglich, berichteten sie.
Die Werkeinführung übernimmt der Komponist persönlich — schüchtern und schmalgliedrig steht er vor dem Orchester, die Partitur ist fast so groß wie er selbst. Er habe in Form einer Collage gearbeitet, erklärt er: verschiedene Musikstile seien übereinander geschichtet, um die dämonisierende Darstellung von Circe durch die einzelnen Jahrhunderte zu zeigen. Im Laufe des Stücks ginge sie ihrer Erlösung im Sinne einer neuen Wahrnehmung von weiblicher Stärke entgegen.

Was dann folgt, ist schwer zu beschreiben. Als das Orchester zu spielen beginnt, klingt es, als hätte jemand kurz vor Opernbeginn ein Mikrophon in den Orchestergraben gehalten – ohrenbetäubend spielen alle Musiker mit Inbrunst ihre Stimmen, dazu dirigieren fünf Dirigenten konzentriert nebeneinander her. Damit die Musiker sie nicht durcheinander bringen können, tragen sie Kopfhörer mit Klick. Immer wieder dringen Klangfetzen der Harfe durch den Lärm, wenn nicht gerade ein marzialischer Schlagzeugdonner alles übertönt. Dass ein Mann mit derart gehemmter Ausstrahlung eine solche Klanggewalt erfinden kann, ist verstörend – das Stück dauert fast fünfzig Minuten und gleicht einem Terroranschlag auf die Musikstile sämtlicher Jahrhunderte. Übrig bleibt am Ende der Klang der Harfenistin, die mit einer Zahnbürste über die Saiten ihrer Harfe schabt.

Danach gehen wir still zum Ausgang, schwer lastet auf uns das Erlebte in seiner innovativen Strahlkraft und Bedeutung für das All. Die Vorstellung einer rauschenden Party hat ihren Reiz verloren, wir sehnen uns eher nach einer menschenleeren, schallisolierten Insel.
Trotzdem werden wir nicht aufgeben und uns beim nächsten Mal wieder für eine Förderung bewerben. Erste Einfälle haben wir auch schon. Wie wäre es zum Beispiel mit live-Kompositionen zu Guerilla Gardening? Das wird dann aber teuer für den Kunsthimmel. Das Ensemble muss dafür mindestens einen Monat ungestört im Feengarten auf dem Schlossstern proben.

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4 Kommentare

  1. Mark Scheibe Juni 10, 2022 um 9:42 am Uhr - Antworten

    „Die Partitur ist fast so groß wie er selbst“ – ich liebe diesen Ausflug. Du schreibst, als hätte ich ihn geträumt. Der Flügel! Die Seile! Egal, ob es stimmt – danke für den Trip!❤️

  2. Sarah Juni 10, 2022 um 12:52 pm Uhr - Antworten

    Liebe Eva, ich bin ganz begeistert von deinen Freitags Notizen! Du hast so einen subtilen Witz und kannst so packend erzählen! Grossartig! Wer hat denn dieses Harfenkonzert komponiert und gespielt? Liebe Grüße aus Dresden

  3. Dani Juni 14, 2022 um 10:53 am Uhr - Antworten

    Ich glaube das ist mein bisheriges Lieblingsstück. Obwohl es überaus witzig ist habe ich die vage Befürchtung es könnte sich um die treffende und traurige Wahrheit handeln.

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